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Walter Ruttmann – Weekend

 

Autorschaft

Walter Ruttmann

Datum 1930
Land Deutschland
Technische Daten

Länge: 11:10 min; Lichttontechnologie

Mediales Genre Avantgardistisch-Experimentelle Klangmontage
Bereich Musik, Hörspiel, Film
Ausgangsmaterial

Vorgefundene Alltagsklänge eines Berliner Wochenendes

Im Jahre 1978 tauchte im New Yorker Exil des deutschen Regisseurs und Dokumentarfilmers Paul Falkenberg ein Klangdokument auf, das seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen gegolten hatte. Es handelte sich um eine Kopie von „Weekend“, einer musikalischen Collage des Berliner Filmregisseurs Walter Ruttmann. 1930 war das Stück das erste Mal in Berlin öffentlich aufgeführt sowie im Radio gespielt geworden. Zwei Jahre später hatte Ruttmann „Weekend“ noch einer italienischen Journalistin vorgespielt. Danach schien das Original des Tonfilms in den Irrungen der Vorkriegszeit oder des Zweiten Weltkriegs verschwunden gegangen zu sein.



„Weekend“ wird gerne als ein „Film ohne Bilder“ beschrieben, von Ruttmann selbst sogar als „photographische Hörkunst“ (Ruttmann 1929/1994: S. 25). Das gut elf Minuten lange, hörspielartige Stück erweist sich dabei als eine humorvolle Hommage an den Berliner Alltag, hergestellt nach den Prinzipien der Schnitttechnik des Spielfilms. Walter Ruttmann, der bereits 1910 im damals avantgardistischen München erste künstlerische Schritte als expressionistischer Maler gesammelt hatte und dessen bekannteste Arbeit wohl der Dokumentarfilm „Berlin – Symphonie einer Großstadt“ von 1927 sein dürfte, hatte ein ganzes Wochenende lang Töne gesammelt. Beginnend mit seinem Feierabend am Samstag Abend bis zum erneuten Arbeitsbeginn am darauffolgenden Montag Morgen hatte er allerlei Klänge des Berliner Stadtgeschehens zusammengetragen. Er bannte diese „found sounds“, also vorgefundene Klänge wie Taubengurren, Straßenlärm oder Gesprächsfetzen auf das Zelluloid der wenig zuvor eingeführten Lichttontechnologie. Mit der Schere schnitt er einzelne Tonfragmente heraus und klebte sie in neuem Arrangement wieder zusammen. Der Ansatz von „Weekend“ ist dabei konsequent erzählerisch und der Tradition des Hörspiels verpflichtet, trotzdem aber eine Pionierleistung der akustischen Kunst, wie Jeanpaul Goergen berichtet:

„Zum ersten Mal entsteht ein Hörspiel nicht mehr als literarisches Manuskript, das von Schauspielern wie auf einer Theaterbühne geprobt und live vor den Rundfunkmikrofonen aufgeführt wird. Es wirken überhaupt keine Schauspieler mehr mit, sondern ausschließlich Laien, zufällige Passanten, Menschen bei der Arbeit. […] Zum ersten Mal entsteht ein Hörspiel nicht mehr an der Schreibmaschine, sondern aus Schnitt und Montage akustischen Rohmaterials.“

— Goergen (1994): S. 4.

Notation aus Wochenende (1930)

„Weekend“ ist eine wahre Symphonie der Geräusche, die aber mit rhythmischem Feingefühl und mit allerlei Pointen gespickt ist. Ruttmann verstand seine abstrakte Toncollage als „Jazz der Arbeit“, der von der dröhnenden Maschinerie der Schreibmaschinen, Registrierkassen und Sägen, aber auch vom verdienten Feierabend und dem erholenden Sonntagsausflug erzählt. Immer wieder gibt es semantisch-klangliche Assoziationen und Anspielungen, wie zum Beispiel beim „Ausklang“ des Wochenendes: Zuerst das Gläserklirren beim Zuprosten, danach die Glocken der Tiere und das Bimmeln der Kirchenglocke. Schließlich das Klingeln des Weckers, der lautstark den allwöchentlichen Arbeitsbeginn am Montag verkündet.

Ruttmanns Arbeit nahm die konkrete Musik Pierre Schaeffers genauso vorweg wie modernen Cut-and-Paste-Methoden des Samplings und Remixings. Kein Wunder, dass 2001 eine Wiederveröffentlichtung von „Weekend“ in die Läden kam und sich verdiente Musiker wie John Oswald, DJ Spooky oder Ernst Horn auf einer E.P. vor Walter Ruttmann verneigten – als Remixer von „Weekend“.

Referenzen

Föllmer, Golo (2004): Audio Art, in: Frieling, Rudolf/Daniels, Dieter (Hg.): Medien Kunst Netz. Medienkunst im Überblick, Wien: Springer, S. 80-117.

Goergen, Jeanpaul (1994): Walter Ruttmanns Tonmontagen als Ars Acustica (Massenmedien und Kommunikation 89) Siegen:

LaBelle, Brandon (2006): Background noise: perspectives on sound art, New York: Continuum International Publishing Group.

Ruttmann, Walter (1929): Neue Gestaltung von Tonfilm und Funk. Programm einer photographischen Hörkunst, in: Film-Kurier, 26.10.1929, Nr. 255; Reprint in: Goergen, Jeanpeaul (1994): Walter Ruttmanns Tonmontagen als Ars Acustica (Massenmedien und Kommunikation 89) Siegen, S. 25-6.

Zum Autor:
Georg Fischer

Georg Fischer hat in Berlin Soziologie studiert und seine Diplomarbeit zum Thema "Kreativität und Innovation des Samplings" verfasst. Derzeit bearbeitet er seine Dissertation zum Thema "Urheberrecht und Kreativität in der Musikproduktion".

jaegerundsampler.wordpress.com
@jaeger_sampler