Musik

Präambel von Georg Fischer

Georg Fischer hat in Berlin Soziologie studiert und seine Diplomarbeit zum Thema "Kreativität und Innovation des Samplings" verfasst. Derzeit bearbeitet er seine Dissertation zum Thema "Urheberrecht und Kreativität in der Musikproduktion".

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@jaeger_sampler

Innerhalb des Bereichs Musik soll anhand von verschiedenen „Meilensteinen“ ein Bogen zur Geschichte des Remix’ im 20. Jahrhundert gespannt werden. Es geht nicht darum, eine vollständige oder in den Details erschöpfende Begriffsgeschichte anzubieten, sondern in einem Überblick darzustellen, anhand welcher entscheidender und Richtung weisender Stationen die historische Entfaltung des musikalischen Phänomens Remix erzählt werden kann. Dabei werden uns die experimentellen Tonbandcollagen der europäischen Avantgarde seit den 1920er Jahren genauso begegnen wie die ersten eigenständigen „Gehversuche“ der DJ-Culture der 1970er Jahre sowie die Vielfalt der digitalen Bearbeitungsmöglichkeiten innerhalb der populären Musik ab den 1990er Jahren.

Unter einem Remix wird dabei ein Musikstück verstanden, das aus bereits bestehenden Stücken vollständig oder teilweise abgeleitet wird, indem daraus entnommene Abschnitte durch Rekombination oder innerhalb eines neuartigen Arrangements zusammengesetzt werden. Um Eigenständigkeit zu erhalten, muss sich das abgeleitete Stück natürlich von dem ursprünglichen entfernen: so weit, dass es einen eigenständigen Charakter beanspruchen kann und nicht als identische Kopie gilt. Aber das abgeleitete Stück darf sich nicht unendlich weit von dem ursprünglichen entfernen, weil es sonst nicht mehr mit ihm in Verbindung gebracht werden kann. Diese Referenzialität, also das Aufscheinen des alten, bekannten Stücks im neuen ist der erste zentrale Aspekt des musikalischen Remix’. Bis zu diesem Punkt unterscheidet sich der Remix allerdings noch nicht von der klassischen Methode des Covers. Während es sich beim Cover um eine erneute Aufführung einer fremden Komposition handelt, steht beim Remix die direkte Arbeit an der Materialität des Klangs selbst im Vordergrund. Auch wenn in vielen Musikstücken sowohl Remix- als auch Coververfahren gleichzeitig zum Einsatz kommen, stellt das Nachspielen oder Nachsingen einer Melodie, eines Rhythmus’ oder einer anderen musikalischen Figur streng genommen keinen Remix dar. Der Remix fußt auf der direkten, quasi „handfesten“ Behandlung eines Klangs und der Einbettung dieser Töne innerhalb eines neuen musikalischen Arrangements.

Der Begriff des Remix’ ist in den 1970er Jahren durch den Discoproduzenten Tom Moulton in Umlauf gekommen. An Tonbandmaschinen arbeitend war Moulton dafür zuständig, aufgenommenen Discostücken eine gut und kräftig klingende Abmischung („mix“) für die Tonträgerproduktion zu geben. Außerdem wollte er durch Verlängerung bestimmter Rhythmuspassagen die Stücke ausdehnen, da dies von den Tänzern und Tänzerinnen in den Diskotheken gewünscht war. Auf diese Weise entstanden die sogenannten „Tom Moulton Mixes“, die bald schlicht „Remixes“ genannt wurden. Moulton war es daran gelegen, den ursprünglichen Stücken keine neuen Elemente hinzuzufügen, sondern lediglich durch Neuabmischung und Wiederholung bestimmter Phrasen (sogenannte „Loops“) eigenständige Clubversionen zu erstellen. Diese konnten bis zu 14 Minuten lang sein, weshalb sich Moulton dafür entschied, seine Remixes nicht mehr auf die kleinen 7“-Singles sondern von nun an auf die eigentlich für LP’s reservierten 12“-Platten zu pressen.

Es dauerte nicht lange, bis das Verfahren von Tom Moulton auch von anderen Produzenten adaptiert wurde. Aber nicht nur das: das Konzept des Remix’ wurde weitergedacht und etablierte sich als legitimes Bearbeitungsverfahren in den Studios Durch verschiedene technische Innovationen in der digitalen Klangherstellung und -bearbeitung wie den digitalen „Samplern“ ab den 1980er Jahren konnten nun auch Klänge aus anderen Musikstücken oder extra eingespielte Tonspuren nach Belieben verwendet werden. Auf den Singleauskopplungen gesellten sich zu den Discoversionen bald auch HipHop-, Dance- oder Instrumentalversionen der Stücke, da das gleiche Stück auf diese Weise von den DJ’s unterschiedlichster Stilrichtungen in den Clubs gespielt werden konnte. Das Originalstück als solches blieb freilich gut erkennbar, es konnte mit den verschiedenen Remixes lediglich für bestimmte Genres neu aufbereitet und damit breiter vermarket werden. Der Remix etablierte sich als musikindustrielles Marketinginstrument und gleichermaßen als legitime Methode der fortlaufenden und wechselseitigen Reaktualisierung aktuell verhandelter musikalischer Ideen. Möchte man diese Praktiken zusammenfassen, bietet es sich an, von einer Remixkultur zu sprechen. Damit sind alle innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft oder Gruppe geteilten, legitimen Herstellungsweisen gemeint, durch die neue Stücke hervorgebracht, nach internen Codes bewertet und wieder für anschließende Remixe zur Verfügung gestellt werden. Das Ausreizen einer einzigen erkennbaren musikalischen Idee oder die geistreiche, humorvolle, oder anders überraschende Bearbeitung eines Stückes sind dabei Aspekte, die zu einer kontinuierlichen Mitarbeit innerhalb einer lebendigen Remixkultur führen.

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Literatur/Quellen

McLeod, Kembrew / DiCola, Peter (2011): Creative License. The Law and Culture of Digital Sampling, Durham/London: Duke University Press.

Navas, Eduardo (2012): Remix Theory. The Aesthetics of Sampling, Wien: Springer.

Ross, Alex (2007): The Rest is Noise. Das 20. Jahrhundert hören, München/Zürich: Piper.

Straw, Will (2002): The 12-inch Single as a Medium and Artefact?, in: Negus, Keith/Hesmondhalgh, David (Hg.): Popular Music Studies, London: Edward Arnold, S. 164-177.

Von Gehlen, Dirk (2011): Mashup. Lob der Kopie, Berlin: Suhrkamp.