Titel | Je ne vois pas la (femme) cachée dans la forêt |
Autorschaft | nicht geklärt, wird häufig André Breton zugeschrieben |
Datum | 15. Dezember 1929 |
Land | Frankreich |
Technische Daten | s/w Fotografie |
Mediales Genre | Bild-Montage/Fotomontage |
Bereich | Fotografie |
Ausgangsmaterial | Gemälde La femme cachée von René Magritte, erschienen in: La révolution surréaliste, Nr. 12/1929, S. 73. 16 Porträts aus einem Fotoautomaten |
Quelle |
Um die Reproduktion eines Gemäldes von René Magritte mit dem Titel La femme cachée sind Porträts von sechzehn Männern angeordnet, die alle eine konventionelle Bekleidung (Anzug, Hemd, Krawatte) tragen. Der Blick ist jeweils geradeaus gerichtet, die Augen sind geschlossen. Die Brustporträts sind standardisiert, sie stammen aus einem Fotoautomaten.
Gemälde La femme cachée von René Magritte, in: La révolution surréaliste, Nr. 12/1929, S. 73.
Abgebildet sind wichtige männliche Protagonisten des französischen Surrealismus. Von links im Uhrzeigersinn sind das: Maxime Alexandre, Louis Aragon, André Breton, Luis Buñuel, Jean Caupenne, Salvador Dalí, Paul Éluard, Max Ernst, Marcel Fourrier, Camille Goemans, René Magritte, Paul Nougé, Georges Sadoul, Yves Tanguy, André Thirion, Albert Valentin.
Die Montage wurde in der 12. und letzten Ausgabe der Zeitschrift La révolution surréaliste am 15. Dezember 1929 veröffentlicht. Die Fotomontage war Illustration für einen redaktionellen Beitrag zu einer Umfrage („Enquête sur l’amour“) über surrealistische Positionen zum Thema Liebe.
René Magritte: La femme cachée (1929), Privatsammlung. Bildnachweis: David Sylvester (2003): Magritte. Köln: Parkland-Verlag, S. 209.
Bild: andrebreton.fr
René Magrittes Gemälde (bzw. die Reproduktion des Originals) wirkt sehr viel plastischer als die Wiedergabe im Remix-Produkt. Zitiert wird eine Venus-Figur, eine idealisierte Weiblichkeit, auf die sich männliches Begehren richtet. Im Remix der Zeitschrift La révolution surréaliste ist die Reproduktion des Gemäldes kontrastreicher und ästhetisch den Schwarz-Weiß-Fotografien angeglichen.
Wichtig für das Remix-Thema ist es, dass für diese Montage kein Urheber genannt wird. Sie ist ein Gemeinschaftswerk einer surrealistischen Künstlergemeinschaft (historisch neue Haltung zur Autorschaft).
Indem man Fotoautomaten-Bilder verwendete, wurde auch das ,Foto ohne Fotograf‘ oder das automatische Bild zum Thema eines Kunstwerkes gemacht. Wenn man, wie auf dem Bild Je ne vois pas la (femme) cachée dans la forêt die Augen geschlossen hat, widersetzt man sich jener Identifizierungsidee, die mit dem Passfoto aus dem Automaten verbunden ist. Die Montage der Fotos von scheinbar schlafenden und träumenden Männerköpfen mit dem Bild von René Magritte La femme cachée verbindet eine automatisierte und standardisierte fotografische Bildform mit der alten Kunstform Gemälde. Das neu entstandene Werk zitiert wiederum das Gemälde von Jean Léon Gérôme von 1861, das den Titel Phryne vor den Richtern trägt.
Jean-Léon Gérôme: Phryné devant l’Areopage (1861), Öl auf Leinwand, 80 x 128 cm, Original in der Hamburger Kunsthalle.
Bild: Wikimedia Commons
René Magritte nimmt diese historische Pose der schamhaft nackten Frau auf und intensiviert die Darstellung von Nacktheit, die sich jetzt potentiell jedem Blick darbietet. Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts lieferte er damit einen Kommentar zu virulenten Diskussionen über Sexualität und Perversion und gegen eine bourgeoise Moralität.
Das Remixing dieses Gemäldes inszeniert einen Kommentar zur patriarchalen Geschlechterkonstruktion: Durch die geschlossenen Augen begutachten die Männer nicht den Frauenkörper, aber sie imaginieren ihn, erträumen ihn. Der Remix ist darüber hinaus auch als eine Art von Amateurpräsenz in der Kunst zu verstehen: Mit Fotoautomaten war es erstmals möglich, für wenig Geld ein Porträt von sich in Eigenregie anfertigen zu lassen.
Der Remix La femme chachée geht außerdem auch zurück auf einen anderen Remix, eine Fotomontage, die bereits in der ersten Ausgabe der Zeitschrift La révolution surréaliste von 1924 abgedruckt ist. Ein Remix hat mithin nicht nur Bezüge zu originalen Werken, sondern – und das macht diese Geschichte von surrealistischer Kunstproduktion deutlich – kann auch Vorläufer einer Auseinandersetzung mit ähnlichen Quellen haben.
La révolution surréaliste, Nr.1, 1924, S. 17.
Der Remix La femme chachée wurde in der jüngeren Vergangenheit erneut zu einem Remix: Der 1966 geborene deutsche Künstler Thomas Zipp benutzte eine Kopie des ,Original-Remix‘, stellte davor eine Tafel mit einem gemalten Skelett, das die Arme weit ausgebreitet hat, applizierte den Männerporträts Brillen und geöffnete Augen und verändert den Schriftzug in ein bejahendes Statement: „Je vois la femme cachée dans la forêt“. Mit geöffneten Augen ist kein Körper im Blick, sondern nur seine Baustruktur – und die kann sowohl männlich als auch weiblich sein. Ist das die Enttarnung der Männerphantasie? Der Remix will Kommentar sein auf eine historische (Künstler-)Welt und der Künstler positioniert sich damit selbst im ,Dickicht‘ möglicher Blicke.
Thomas Zipp: Je vois la femme cachée dans la forêt (2005), Mixed Media, Acryl und Öl auf Musselin, 2 Teile 300 x 200 cm, 140 x 110 cm.
Bild: kaufmannrepetto.com
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Béhar, Henri: About the Artist André Breton (2009)
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