Menü

Der „Amen Break“

 

Titel Der "Amen Break"
Autorschaft

The Winstons/Gregory C. Coleman

Datum 1969 bis heute
Land USA
Technische Daten

Länge: 6 Sek. (Drum-Sample)

Mediales Genre Sampling in Hip-Hop, House, Jungle und Drum'n'Bass
Bereich Musik
Ausgangsmaterial

The Winstons – Amen, Brother (B-Side von: Color Him Father, Metromedia 1969)

Im Gegensatz zu den anderen Exponaten des Remix.Museums spielt bei diesem Exponat nicht ein einzelner Remix-Künstler die Hauptrolle. Vielmehr handelt es sich hier um eine Geschichte, die erzählt wird: die Geschichte von 4 Takten – 6 Sekunden – Musik. Und welche Wirkungsmacht diese 6 Sekunden auf eine ganze Heerschar von Musikproduzenten und DJs ausüben konnte. Das Sample, dessen Geschichte hier erzählt wird, stammt aus dem Song „Amen, Brother“ der Soul- und Gospelband The Winstons, der B-Seite der einzigen erfolgreichen Single der Band: „Color Him Father“. Der Song wäre wohl in den Archiven der Popgeschichte verschwunden, wenn nicht knapp 20 Jahre nach der Veröffentlichung HipHop-Produzenten den viertaktigen Drumbreak daraus gesampelt und damit dem „Amen Break“ eine zweite, weitaus erfolgreichere Karriere beschert hätten. Anfang der 1990er Jahre griffen House- und Techno-DJs dann den „Amen Break“ erneut auf und begründeten auf dessen Grundlage einen ganzen Musikstil: Drum’n’Bass.



Die Geschichte beginnt mit der Aufnahme von „Amen, Brother“: Laut eigener Aussage wurde der Song in kürzester Zeit von Sänger und Drummer Gregory C. Coleman im Studio aufgenommen und der Drumbreak kurzerhand improvisiert – der Fokus der Band lag nämlich auf der Aufnahme von „Color Him Father“. Das kitschige Lied avancierte zur Hitsingle und bescherte The Winstons ein „One Hit Wonder“. Das weitaus flottere „Amen, Brother“ fristete allerdings das typische Dasein einer B-Seite und blieb weitgehend unbekannt. 20 Jahre später entstand mit dem Aufkommen der HipHop-Kultur jedoch eine große Nachfrage an Drumbreaks und anderen Samples, insbesondere aus Funk- und Soul-Songs der 1960er und 1970er Jahre. Auf speziellen Compilations wurden zahlreiche Songs, die sich zum Sampeln und Auflegen eigneten, für Produzenten und DJs zusammengefasst und sample-freundlich aufbereitet. Auf der ersten Auskopplung der Compilation „Ultimate Breaks and Beats“ (Street Beat, 1986) befand sich auch das Sample aus „Amen, Brother“, das daraufhin Einzug in die frühe HipHop-Kultur hielt. Diese frühe Verwendung ist vor allem auf die USA beschränkt: beispielsweise wurde der Amen Break in „I Desire“ von Salt’n’Pepa (Next Plateau, 1986), „King Of The Beats“ von Mantronix (Capitol, 1988) oder „Straight Outta Compton“ von N.W.A. (Ruthless, 1988) benutzt.

Zunächst war der Amen Break nur einer von vielen Breakbeats im US-amerikanischen HipHop. Zu Beginn der 1990er Jahre wurde das Sample dann aber von britischen DJs aus der House- und Ravekultur aufgegriffen und in DJ-Sets eingebaut. Der Amen Break wurde sehr beliebt, da er besonders wuchtig und dynamisch klingt und damit ideal zur Intensitätsteigerung in DJ-Sets genutzt werden konnte. Als „Loop“, also in fortwährender Wiederholung, wurde der Amen Break in den DJ-Sets über die geraden Beats geschichtet, was auch in diversen kontinentaleuropäischen Genres wie Techno, Gabber und Happy Hardcore Anwendung fand.

Jungle und Drum'n'Bass

In dieser Tradition nutzten auch DJs wie Fabio und Grooverider, die von 1990 bis 1993 in London die Clubnacht „Rage“ ausrichteten, den Amen Break. Mit manipulierten Plattenspielern mixten sie verschnellerte Drumbreaks über ihre House- und Techno-Tracks. Insbesondere die Passagen, wo nur die Breaks gespielt wurden, kamen beim Publikum sehr gut an und so entwickelte sich aus dieser Praxis nach und nach das Genre „Jungle“, aus dem wenig später der noch härtere Drum’n’Bass entstehen sollte.

Im Original hat der Amen Break eine Geschwindigkeit von etwa 140 BPM. In seinem vierten Takt ist deutlich eine Synkope, also eine rhythmische Verschiebung, zu hören. Dieses kurze „Stolpern“ im Beat wurde zu einem zentralen Ausgangspunkt der Rhythmusstruktur in Jungle und Drum’n’Bass ausgebaut, indem die Passage als Sample isoliert, in Arrangement und Klang manipuliert und anschließend mit anderen Samples rekombiniert wurde. Wie der Rhythmusforscher Martin Pfleiderer erklärt, wurden neben Betonung der Synkopierung weitere Transformationsmöglichkeiten des digitalen Samplings zur Manipulation und Konstruktion neuer Rhythmen verwendet: Stauchung und Dehnung der Samplelänge, Rückwärtsabspielen des Samples, Veränderungen seines zeitlichen Ablaufmusters, Isolation und Übereinanderschichtung einzelner Schläge, Schnitte auch innerhalb eines einzelnen Schlages und weitere (Pfleiderer 2006: S. 277).

Notation des Amen Break (Quelle: Wikipedia)

Zwischen 1993 und 1995 wurde der Amen Break als rhythmisches Rückgrat und damit als paradigmatische Grundlage in fast jeder Drum’n’Bass-Produktion benutzt. In unzähligen Variationen wurde er in all seinen rhythmischen, klanglichen und melodiösen Facetten ausgereizt. Die charakteristisch „scheppernde“ Snare-Trommel, der Zusammenschlag aus Kickdrum und Becken im letzten Takt und die Synkope entwickelten sich zu ästhetischen Erkennungsmerkmalen. Der Amen Break gilt heute als das am häufigsten gesampelte Stück Musik, obwohl eine exakte Angabe dieser Zahlen nicht einfach ist. Die Sample-Datenbank whosampled.com listet mehr als 1500 Songs auf, die den Amen Break samplen. Es ist aber davon auszugehen, dass der Großteil der Drum’n’Bass- und Jungle-Produktionen in dieser Liste überhaupt nicht erfasst ist, weil diese vornehmlich für den exklusiven Gebrauch von DJs (sogenannte „Dubplates“ oder „White Labels“) in Kleinauflage herausgebracht wurden.

Wellenform des Amen Break (Quelle: Wikipedia)

Crowdfunding

Richard L. Spencer, Leadsänger und Komponist von „Amen, Brother“, erfuhr erst in den 1990er Jahren von der massenhaften Verwendung des Samples, hatte aber wegen verjährter Ansprüche keine rechtliche Handhabe, Tantiemen einzufordern. Eine im Februar 2015 gestartetete Crowdfunding-Kampagne soll das – zumindest ansatzweise – kompensieren und hatte sich als Ziel wohl eher symbolisch gemeinte 1.000 Pfund gesetzt. Innerhalb von 2 Monaten wurden aber bereits knapp 24.000 Pfund gesammelt. Die Spenden sollen an Spencer und eventuell an die Hinterbliebenen von Coleman, der 2006 verstarb, ausbezahlt werden.

Referenzen

Butler, Mark J. (2006): Unlocking the Groove: Rhythm, Meter and Musical Design in Electronic Dance Music, Bloomington: Indiana University Press.

Crissy Criss (2011): BBC 1Xtra: The Story of the „Amen Break“, https://www.mixcloud.com/crissycriss/the-story-of-the-amen-break-with-crissy-criss-bbc-1xtra/

Hengstenberg, Michail (2011): Kultsample „Amen Break“. Vier Takte für die Ewigkeit, http://www.spiegel.de/einestages/kultsample-amen-break-a-947068.html

Pfleiderer, Martin (2006): Rhythmus. Psychologische, theoretische und stilanalytische Aspekte populärer Musik, Bielefeld: Transcript.

Reynolds, Simon (1998): Energy Flash. A Journey Through Rave Music And Dance Culture, London: Faber.

Dieser Text wurde gemeinsam von Georg Fischer und Lorenz Gilli verfasst.

Zum Autor:
Lorenz Gilli

Lorenz Gilli ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medienästhetik der Universität Siegen und bearbeitet seine Dissertation zu DJs in der Electronic Dance Music.

www.medienaesthetik.uni-siegen.de