Titel | Endtroducing..... |
Autorschaft | DJ Shadow alias Josh Davis |
Datum | 1996 |
Land | USA |
Technische Daten | 13 Tracks, Gesamtlänge 63:26 Minuten |
Bereich | Musik |
Ausgangsmaterial | Mehrere hundert Samples von alten Schallplatten |
Sampling und Remixing sind Anfang der 1990er Jahre etablierte Produktionspraktiken des HipHop und erfreuen sich großer Beliebtheit bei den DJs und Produzenten des Genres. HipHop gilt dabei als erstes gefestigtes Genre der populären Musik, das in seiner klassischen Form und von den Raps einmal abgesehen nahezu vollständig aus Ausschnitten bereits existierender Musik abgeleitet wird. Als Genre profitiert HipHop davon, dass immer wieder neue Versionen, Remixes und Samples von Tracks bei den DJs und Produzenten in Umlauf sind, denn innerhalb dieser Remixkultur entstehen fortlaufend Neuerungen und kleine Innovationen, die das Genre erneuern und frisch halten.
Und doch hat HipHop zu Beginn der 1990er Jahre einige Probleme: Die ersten Sample-Clearence-Gerichtsverhandlungen gegen Biz Markie und De La Soul erschüttern die Szene; das „Cut-and-Paste“-Prinzip des Samplings hat zudem starken Gegenwind in der Gesellschaft, da es als Diebstahl geistigen Eigentums wahrgenommen wird und es für die Produzenten schwer ist, ihre künstlerische Methode zu legitimieren; und außerdem gibt es auch innerhalb der HipHop-Szene immer wieder Konkurrenzkämpfe und Streitigkeiten darüber, welche Samples benutzt werden dürfen und welche nicht. Anders als sich vielleicht zuerst vermuten ließe, herrschen auch in der HipHop-Ästhetik strenge Forderungen nach Originalität und Kreativität – auch wenn es hier mehr darum geht, unbekannte und obskure Samples in bereits vorhanderer Musik zu finden („Diggin’ in the Crates“) und diese auf besondere Art in den Tracks zu verwenden (beispielsweise durch „Chopping“ oder durch Kombination mit anderen Samples). Trotzdem, auch im HipHop kommt die Wiederholung der immergleichen Samples, wie zum Beispiel die geradezu ausgeschlachteten Stücke von James Brown, schnöde, uninspiriert oder als bloße Kopie des Bewährten daher.
Innerhalb der US-amerikanischen HipHop-Szene hat sich daher eine strenge Logik entwickelt, die zur Suche nach neuem und unverbrauchtem Klangmaterial auffordert. Joseph Schloss, der die internen Strukturen der HipHop-Szene untersucht hat, berichtet von einer impliziten Ethik unter den Sample-Jägern, die als „Diggin’ in the Crates“ oder auch als „Beat mining“ bekannt ist. Freilich wird mit diesen Begriffen auf die alte Goldgräberpraxis angespielt, bei der unter Aufbringung höchster Geduld und Anstrengung nach dem seltenen Rohstoff gegraben werden musste. Das „Crate-Diggin’“ verweist aber auch auf die Kartons voll alter, spätestens in den Neunzigern nach Einführung der CD nahezu wertlos gewordener Schallplatten, die in Trödelläden, Garagenflohmärkten oder den Kellern von Provinzflohmärkten haufenweise zu finden waren und von den HipHop-Produzenten nach unverbrauchten, obskuren oder anderweitig besonderen Samples abgegrast wurden. Der Musikjournalist Simon Reynolds schreibt dazu:
„Die Fähigkeit des Autors und Crate-Diggers – Typen wie Prince Paul, Premier, the RZA, DJ Shadow – bestand nicht nur darin, diese geheimen Orte zu entdecken und diese stundenlange, staubige Arbeit des Wühlens auf sich zu nehmen. Es ging auch um die feine Sensibilität, das potenzielle Sample zu erkennen, das andere übersehen würden: Der kürzeste Fetzen einer Orchestrierung oder einer unbedeutenden Rhythmusgitarre, der als Loop funktionieren könnte, der beiläufige Augenblick in einem Jazz-Funk-Track, bei dem die Instrumentierung abnimmt und eine isolierte Notenfolge auftaucht, die als zentraler Riff eines neuen Tracks verwendet werden kann.“
— Reynolds (2012): S. 292.
Josh Davis alias DJ Shadow gilt als einer der zentralen Figuren, die diesen Ethos des fleißig grabenden und musikalisch gebildeten Crate-Diggers auf die Spitze getrieben haben. 1996 erschien das Debütalbum „Endtroducing…..“ des notorischen Plattensammlers und schrieb Musikgeschichte als angeblich erstes Album, das komplett aus Fremdsamples zusammengefügt worden war. Die mehreren hundert verwendeten Samples wurden ausschließlich von Schallplatten gesampelt und mithilfe des Akai MPC 60 Samplers bearbeitet, was auch den leicht dumpfen Klang der Stücke erklärt. Auch das Artwork des Albums spielt auf die Selbstverpflichtung des tief schürfenden Crate-Diggers an, denn es zeigt einen Plattenladen, in dem zwei Männer – die mit DJ Shadow befreundeten Musiker Lyrics Born und Chief Xcel – die Regale nach interessanter Musik durchforsten. Schlägt man das Cover des Albums jedoch auf, sieht man den im Keller des Plattenladens suchenden, nach dem perfekten Sample geradezu fahndenden DJ Shadow, der unzählige von Schallplatten begutachtet und aus ihnen sorgfältig selektiert. Davis beschränkte sich bei seiner Auswahl nur auf das Medium Vinyl, nicht aber auf ein Genre: Stücke aus den Bereichen Funk, Soul, Rock, Jazz, Spoken Word, Rap oder Gospel – alles wurde zerlegt, sortiert und anschließend zu neuen Stücken mit eigenständigem Charakter zusammengesetzt. Die daraus entstandenen düsteren, weitgehend instrumentalen HipHop-Beats wurden von der begeisterten Fachpresse schon bald mit einem neuen Genrebegriff etikettiert: Trip Hop.
DJ Shadows „Endtroducing…..“ sollte sich als sehr einflussreich herausstellen, und das im doppelten Sinne: Einerseits rezipierte Josh Davis unzählige vergessene Musikstücke und verhalf ihnen damit in gewisser Weise bei der Wiederbelebung. Andererseits stellt er bis heute ein wichtiges Vorbild innerhalb der HipHop-Kultur dar, was die Ethik des Crate-Diggins betrifft. Man könnte sogar sagen, dass er mit seinem Album entscheidend dazu beigetragen hat, die Prozesse des Suchens, Auswählens und Verwendens von Samples zu ästhetisieren, sie als künstlerische Methode und als zentrale Praxis des HipHop ein Stück weit zu legitimieren. Ein Künstler ist in diesem Sinne nicht mehr nur ein Schöpfer: Sein kreatives Vermögen erweitert sich um die Rollen des Kenners, Kurators und Connaisseurs.
Titelbild: Scott Sandars – DJ Shadow (CC BY 2.0)
Reynolds, Simon (2012): Retromania. Warum Pop nicht von seiner Vergangenheit lassen kann, Mainz: Ventil.
Schloss, Joseph G. (2004): Making Beats. The art of sample-based hip-hop, Middletown, Connecticut: Wesleyan University Press.
Wilder, Eliot (2005): 33 1/3. Endtroducing….., New York/London: Continuum.