Titel | Why don't you |
Autorschaft | Gramophonedzie alias Marko Milicevic |
Land | Serbien |
Technische Daten | Länge: 2:34 (Official Video) |
Bereich | Musik |
Ausgangsmaterial | Peggy Lee: „Why Don’t You Do Right? |
Quelle |
„Why Don’t You“ von Gramophonedzie war im Jahr 2010 nicht nur in den einschlägigen Dance-Charts, sondern auch in den allgemeinen Single-Charts erfolgreich und dabei in mehreren europäischen Ländern unter den Top 50 und in Israel auf Platz 1. Abgesehen vom Erfolg zeigt der Remix die konsequente Anwendung von Remixkultur bei der Gestaltung musikalischer und audiovisueller Werke. Dabei kann die Motivation auch gänzlich unideologisch sein, nämlich: für einen geliebten Menschen ein künstlerisches Werk zu erschaffen.
„Why Don’t You“ ist die musikalische Bearbeitung des 1948 erschienenen Songs „Why Don’t You Do Right?“ von Peggy Lee. Dieser ist aber selbst kein Originalwerk, sondern die zweite Fassung einer Cover-Version des Songs „The Weed Smokers Dream“ von den Harlem Hamfats (1942), der bereits von Lil Green zu „Why Don’t You Do Right?“ umbenannt und umgeschrieben worden war. Das Arrangieren älterer, bekannter Songs im neuen Big-Band-Stil war durchaus üblich, denn die Popularität des Swings in den 1930er Jahren erforderte laufend frisches Material.
Why Don’t You Do Right? – Peggy Lee | Listen, Appearances, Song Review | AllMusic
Der Remix von Gramophonedzie ist ein Track aus dem Genre House, einem Anfang der 1980er Jahre aus dem Disco entstandenen Genre mit repetitivem 4/4-Rhythmus und treibenden Basslines. Für die Integration der Elemente aus dem Swing-Song bedient sich Gramophonedzie der Technik des Samplings, bei der Versatzstücke (sog. Samples) aus einer existierenden Audioaufnahme herausgeschnitten und in ein neues Werk integriert werden, wobei auch eine Verfremdung dieses Audiomaterials durch verschiedenste Soundeffekte möglich ist.
Gramophonedzie nutzt zwei rund 30 Sekunden lange und ein knapp 10 Sekunden langes Sample aus dem Original, die ohne Verfremdung und ohne zusätzliche Elemente eingebaut werden. Um diese Samples herum wird ein House-Track komponiert, in dem Stakkato-artig verfremdete, kurze Samples der Bläser und der Stimme über einen dynamischen Beat gelegt werden.
Die Lyrics von „Why Don’t You Do Right?“ beinhalten eine Aufforderung der weiblichen Ich-Erzählerin an den (Ehe-)Mann, Geld zu verdienen und nach Hause zu bringen, „like some other men do“. Hier wird ein direkter Bezug zur Armut und Arbeitslosigkeit zu Zeiten der Wirtschaftskrise in den USA der 1930er Jahre hergestellt (Oliven). Die Lyrics bleiben auch im Remix akustisch leicht verständlich und es genügen zwei der vier Strophen, um die Kernaussage des Songs zu übermitteln.
Es birgt eine gewisse Ironie, dass Milicevic der Forderung von Peggy Lee nachkommt, indem er sich – DJ-Bookings und Auftritten nachgehend – „out of here“ macht und – durch die Einnahmen aus den Tantiemen für den Remix – seiner Freundin „some money“ mit nach Hause bringt.
House war als ein von DJs entwickelter und auf das Auflegen in Diskotheken fokussierter Stil immer schon eine Kulturform, die verschiedene Stile und Musikstücke in einen neuen Kontext, nämlich jenen der Diskothek, transferiert und integriert. Daraus ergeben sich zwangsläufig Brüche in der Kontinuität der Musik. Die durch diese Strukturwechsel erzeugte Spannung ist seit längerem bekannt und wird auch gerne genutzt. Bei „Why Don’t You“ liegen diese Strukturwechsel in der expliziten Gegenüberstellung der unbearbeiteten Passagen aus dem Originalmaterial und den stark verfremdeten Samples im House-Kontext.
Die Passage aus dem Quellmaterial ist mit rund 30 Sekunden ungewöhnlich lange und wird nicht dem House-typischen „Four to the Floor“-Beat, also der Betonung auf jeden der 4 Schläge des Taktes, angepasst. Das Tempo bleibt zwar konstant bei 125 bpm (beats per minute), der Song wirkt aber nur halb so schnell; dieser Effekt wird im Swing oft eingesetzt und als „Half Time“bezeichnet. Diese Gegensätzlichkeit in Stil und Rhythmik tritt bei „Why Don’t You“ sehr markant hervor und bildet im Vergleich zu anderen zeitgenössischen House-Produktionen ein Distinktionsmerkmal.
Es kann als qualitatives Merkmal gegenüber anderen Musikclips aus dem Genre hervorgehoben werden, dass Gramophonedzie im Videoclip das Thema Musik und den Einfluss, den diese auf ein Leben nehmen kann, aufgreift und damit einen reflektierten Zugang zur Musik und der eigenen Wahrnehmung als Musiker zeigt.
Die Autorschaft an „Why Don’t You“ beansprucht er eindeutig für sich, indem er sich als selbständigen Autor anführt und nicht lediglich als in Klammern gesetzten Remixer. Gleichzeitig definiert er seine Autorschaft aber nicht als exklusiv, da als Titel eine Abwandlung des Originals verwendet wird, wodurch das Ausgangsmaterial wieder eindeutig sichtbar wird.
Ebenso wie im Titel besteht auch bei den verwendeten Samples ein erkennbarer Verweis auf das Ausgangsmaterial. Die Herkunft der Samples wird also nicht verschleiert, sondern offen aufgezeigt. Zusätzlich werden die Bruchstellen zwischen Ausgangsmaterial und Bearbeitung deutlich, wodurch das Werk Züge einer Montage aufweist. Gleichzeitig aber werden Samples durch technologische Verfahren dermaßen stark verfremdet und in das neue musikalische Arrangement integriert, dass sie nur schwer oder gar nicht mehr auf ihre Herkunft zurückzuführen sind. Diese Tatsache spiegelt eher das von Felix Stalder angeführte „fluide, digitale Transformieren dieser Teile“ wider, was er als typisch für den Remix und als Abgrenzungskriterium zur Montage ansieht. Milicevic selbst nennt in einem Interview sein Werk „some kind of remake“; dieser Terminus bezeichnet üblicherweise eine streng am Original orientierte Neueinspielung mit anderen Musikern.
Die oft vorgebrachte Forderung der Remixkultur nach der Schaffung eines neuen Sinnzusammenhangs über den Bezug zum Originalstück grenzt den Remix vom Zitat ab, für welches das pure Einfügen eines erkennbaren Bruchstücks aus einem bekannten Werk ausreicht. Dies würde für ein ästhetisch-hedonistisches Erleben im Club ohne Einbeziehung einer kritisch-reflexiven Ebene ausreichen und wäre ebenso legitim. Was „Why Don’t You“ aber auszeichnet, ist, dass an mehreren Stellen explizite Bezüge zu Kontext und Inhalt des Ausgangsmaterials sowie zur Audiokultur im Allgemeinen geschaffen werden.
Das Cover-Artwork zu „Why Don’t You“ von Gramophonedzie zeigt eine Frau in erotischer Pose, die in einem Styling der 40er Jahre inszeniert ist und dadurch einen Bezug zu Peggy Lee herstellt. Die Frau ist in schwarz-weiß dargestellt, während der Hintergrund in Farbe abgebildet ist.
Dieselbe Frau ist Protagonistin im Videoclip, dessen ästhetische Gestaltung ebenso die 40er Jahre widerspiegelt und dessen Story die Kernaussage, nämlich dass der Mann Geld verdienen soll, aufnimmt: Ein junger Mann wird mit der verführerischen Sängerin konfrontiert, die durch das Auflegen einer alten, verstaubten Platte in die Realität tritt: Sie räumt mit Zauberhand seine unordentliche Wohnung auf und beraubt diese damit jeglicher Farbe. Am Ende wird er gekämmt, in einen Anzug gesteckt und vor die Tür gesetzt, wo er gleich ihrer Forderung („get me some money, too“) nachkommt und die Zeitung nach Stellenanzeigen durchsucht.
Der Clip integriert alte und zeitgenössische Ästhetiken und übersetzt damit die musikalische Fusion von altem und neuem Stil in den visuellen Kanal, was Milicevic explizit als Grundgedanken für das Video anführt. Der Clip greift die oben benannten unterschiedlichen Passagen auf, indem die Protagonistin zu den Originalpassagen in der Musik eine verführerische Performance durchführt sowie im Close-Up und ohne strenge Schnitte präsentiert wird, während sie zu den House-Passagen als Fremdkörper rhythmisch in das Wohnzimmer einmontiert wird. Die betörende Gesangsdarbietung der Protagonistin erinnert an die Varieté-Performance zu „Why Don’t You Do Right?“ der Animationsfigur Jessica Rabbit aus dem Film „Who Framed Roger Rabbit“ (1988, R: Robert Zemeckis).
Der Clip thematisiert auch inhaltlich das Aufeinandertreffen zweier fremder Welten: Die jugendliche, tanzende, unordentliche und unvernünftige Welt des jungen Mannes wird unerwartet von der vernünftigen, verantwortungsvollen und um materielle Sicherheit besorgten Welt der erwachsenen Frau bedroht und am Ende von ihr eingenommen. Man kann das als Aufruf zur Bewahrung traditioneller, bürgerlicher Werte und Rollenmuster interpretieren, kann darin aber auch eine künstlerische Verbeugung vor dem Werk Lees und der anderen MusikerInnen sowie eine Fortführung tradierter musikalischer Werte in der zeitgenössischen House-Musik sehen.
Bemerkenswert ist auch die Selbstdarstellung des Künstlers Gramophonedzie: Bereits der Name verweist auf das Grammophon und stellt somit einen Bezug zur Tradition der Schallplatte und des DJs her. Auf seiner Website wie auch bei Soundcloud präsentiert er sich als eine Art „Cyborg“ – halb Mensch, halb Grammophon – mit unterschiedlichen Bauteilen, die mit den Sinnesorganen verbunden sind oder diese teilweise ersetzen. Durch die expliziten Schnitte bzw. Risse, welche die verschiedenen Bauteile markieren, verweist er zusätzlich auf den Aspekt der Montage. Die Darstellung und Verwendung eines Grammophons und einer Hundestatue im Videoclip sind ein historischer Verweis auf das Label HMV, das einen Hund und ein Grammophon in seinem Warenzeichen trägt.
Gramophonedzie vermittelt also mit „Why Don’t You“ auf allen akustischen, visuellen und semantischen Ebenen ein homogenes Gesamtbild und zeigt, dass er den Gedanken des Remix’ als wertvolle und eigenständige Kulturtechnik ernsthaft verfolgt.
Diederichsen, Dietrich (2006): Sampling und Montage. Modelle anderer Autorschaften in der Kulturindustrie und ihre notwendige Nähe zum Diebstahl. In: Anne-Kathrin Reulecke (Hg.in): Fälschungen. Zu Autorschaft und Beweis in Wissenschaft und Künsten; Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 390–405.
Poschardt, Ulf (1995): DJ-Culture; Hamburg: Rogner & Bernhard.
Reynolds, Simon (1999): Generation Ecstasy: Into the World of Techno and Rave Culture. London: Routledge.
Santiago-Mercado, Iván: The Peggy Lee Bio-Discography And Videography, http://www.peggyleediscography.com/index.php
Stalder, Felix (2009): Neun Thesen zur Remix-Kultur; im Rahmen des Projekts Arbeit 2.0, http://irights.info/neun-thesen-zur-remix-kultur, Abruf 16.03.2014.
Wicke, Peter / Ziegenrücker, Wieland / Ziegenrücker, Kai-Erik (2007): Handbuch der populären Musik. Geschichte, Stile, Praxis, Industrie; Mainz: Schott, 2007.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des medienwissenschaftlichen Masterseminars Remixkultur (Leitung: Dr. Anett Holzheid) im WS 2013/14 an der Universität Siegen entstanden.