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Faust

 

Autorschaft

Goethe und ff.

Datum 1587–1947
Land Deutschland

Der FAUST behandelt, wie viele Adaptionen von Sagen und Märchen ein urchristliches Motiv: den Verkauf der eigenen Seele im Rahmen eines Paktes mit dem Teufel. Von Christopher Marlowe über Johann Wolfgang von Goethe hin zu Thomas Mann hat dieses Motiv, im Kontext seiner Zeit verschiedene Interpretationen durchlaufen. Das Originalmotiv wurde über die Zeit so, unter Beibehalt der Ursprünge, fortwährend übersetzt und in einen neuen Rahmen gebracht – geremixed?!



Die älteste Version des FAUST rekurriert auf einen Wunderheiler und Wahrsager namens Johann Georg Faust, der um 1500 im Süddeutschen Raum gelebt und gewirkt haben soll. Um 1587 erschien erstmals ein Werk zu seinem Leben: die „Historia von D. Johann Fausten“des Buchdruckers Johann Spies, die nicht nur Goethe inspirierte sondern deren englische Übersetzung wiederum zur Faust-Bearbeitung von Christopher Marlowe führte. „The Tragical History of (the Life and Death of) Doctor Faustus“ wurde als Drama um 1592 erst-aufgeführt [Renaissance]. Goethes Faust wurde 1808 veröffentlicht [Sturm und Drang, Romantik], Thomas Manns Doktor Faustus (Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde) schließlich, erschien 1947.

Als Schriftsteller der Renaissance stellt Marlowe den Menschen Faustus als wissbegieriges leidenschaftliches Individuum, als Akademiker, in den Mittelpunkt seines Dramas. Die Humanwissenschaften werden verknüpft mit guten und bösen Engeln, die den Menschen irrational leiten. Die Gier treibt Faustus an, nach Macht, Hoheit, Überfluss, Befriedigung – Aufklärung. Religiöser Glaube und rationales Erkenntnisinteresse stehen sich unvereinbar gegenüber. Das Glück bleibt dabei auf der Strecke, die Vergänglichkeit siegt im Spiel zwischen Gut und Böse. Er verliert den Pakt mir dem Teufel, personifiziert durch dessen halbirdischen Vertreter Mephistopheles. Sein unbändiger Wunsch nach Allwissenheit und der Befriedigung jedwedes irdischen Verlangens treibt den Protagonisten schließlich ins Verderben.

Sind die glücklichen Jahre bei Marlowe noch auf 24 begrenzt, verspricht Goethes Mephisto Faust so lange zu dienen bis er herausgefunden hat ‚was die Welt im Innersten zusammenhält‘, mithin am Zenit der Glückseligkeit angekommen ist. Erreicht Faust diesen im ersten Teil noch nicht, so hat er seine Erlösung im zweiten Teil vor allem Gretchen zu verdanken. Zudem hat er keine Richtlinienmöglichkeiten symbolisiert in Engeln sondern entscheidet auf sich allein gestellt.

Thomas Mann wiederum greift wieder auf die 24 Glücksjahre zurück, stellt einen Faust-Charakter und einen Mephisto-Charakter in die Interaktion, wobei es dem Protagonisten um den beruflichen Erfolg als Komponist geht. Semantisch unterliegt dem Werk von Mann aber vor allem der Teufelspakt des deutschen Volkes mit den Nationalsozialisten. Mann übte sich gewissermaßen im Mashup, in dem er neben dem Verarbeiten der FAUST-Sage auch „Anleihen und Zitate von den Philosophen Friedrich Nietzsche und Theodor W. Adorno oder dem Komponisten und Musiktheoretiker Arnold Schönberg“ übernahm.

Jeder der drei Autoren hat den Faust gewissermaßen in ein neues Umfeld ge- und in eine neue Zeit übersetzt. Das Basismotiv bleibt jedoch allen erhalten: der verfängliche Pakt mit dem Teufel. Von den Eindrücken der Renaissance über die Betrachtungen der Zeit der Romantik hin zur Exilliteratur bleiben die Konstanten gesetzt. Vor allem die frühen Faust-Adaptionen / -Interpretationen spielen den selben Ball, auf- und umgewertet im zeithistorischen, gesellschaftlichen Umfeld.

In 2007 ist zudem ein Werk erschienen, das den Titel ‚Goethes Faust Remix‘ trägt und das Ziel verfolgt das vermeintlich verstaubte wichtigste Stück deutscher Literatur erneut in Sinnzusammenhänge zu bringen, die gegenwärtiges Interesse wecken. Auch in diesem Werk wird der zwar unverfälschte Goethe Faust in einen neuen, modernen, zeitgemäßen Bezug gesetzt, wird gespickt von Kommentaren und Anmerkungen, Querverweisen, Musik. So hat der Faust-Mythos auch im 21. Jahrhundert erneut eine neue Sozialisation erfahren.

Das Urheberrecht zu überdenken beginnt also auch hier. In verschiedenen Epochen wird Literatur unterschiedlich ausgedeutet. Die Basis, in diesem Fall der FAUST-Mythos bleibt dieselbe. So unterliegt die Rezeption der Legende fortwährend einer Adaption diverser zeithistorischer Zugriffe, welche wiederum in der Interpretation einer Jetzt-Zeit des Lesers verarbeitet und erneuert werden. Fasst man den Begriff Remix als einen Zeitpunkt X an dem sich ein erster Blick, ein erster Zugriff, der das Originäre einordnet, bewertet und strukturiert vor die Interpretation des Lesers schiebt, so lässt sich jede FAUST-Ausgabe diesem unterordnen.

„Der Literaturtheoretikerin Julia Kristeva […] zufolge ist jeder Text nur ein ‚Mosaik von Zitaten‘. Texte können demnach nur vor dem Hintergrund anderer, früherer Texte gelesen und geschrieben werden. Diese Hypothese eines unendlichen ‚Universums der Texte‘ rüttelt an der Vorstellung von der Originalität und Autonomie des literarischen Kunstwerks. Die Remix-Kultur des digitalen Zeitalters führt Ideen der Intertextualitätstheorie fort, wenn der Medienökonom Felix Stalder etwa postuliert: ‚Jedes neue Werk enthält Elemente bestehender Werke‘.“

Titelbild: Georg Friedrich Kersting – Faust im Studierzimmer

Zur Autorin:
Katharina Meyer

Katharina Meyer ist bevorzugt Technik- und Kulturhistorikerin, subtil Kultur- und Medienmanagerin, laufend Kuratorin (z.B. bei der re:publica) und in Teilzeit Research Associate am Hybrid Publishing Lab (Leuphana Lüneburg) sowie Projektleiterin für Digital Humanities bei der OKFN. Sie mäandert an den Schnittstellen von Schönen Künsten und Technik und publiziert zu Netz- und Medienkunst sowie Digitaler Kultur.


@KthrnMeyer



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