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TV Rodin

 

Titel "Der Denker ‐ TV Rodin"
Autorschaft

Nam June Paik

Datum 1976
Mediales Genre Closed‐Circuit‐Installation // Videoinstallation
Bereich Medienkunst
Ausgangsmaterial

Skulptur des Bildhauers Rodin

Quelle

medienkunstnetz.de

„Der Denker ‐ TV Rodin“ ist eine Videoinstallation des Medienkünstlers Nam June Paik, in der Auguste Rodins Skulptur „Der Denker“ von einer Videokamera gefilmt und das aufgezeichnete Bildmaterial in Echtzeit auf einem Monitor wiedergegeben wird. Die Arbeit existiert in verschiedenen Ausführungen, die zwar dasselbe Dispositiv nutzen, in Anordnung und Ausmaßen jedoch variieren.



In der abgebildeten Variante bildet ein weißer Sockel für den Bronzeabguss der Skulptur, der auf einer Stufe sitzend den gegenüber befindlichen Bildschirm betrachtet. Durch die spezifische Anordnung von Kamera, Skulptur und Bildschirm betrachtet der Denker zunächst das aufgezeichnete Videomaterial, mithin das reproduzierte Bild seiner selbst während er in seiner sinnierende Pose verharrt. Durch die seitlich auf einem Stativ positionierte Kamera erblickt Der Denker sein Abbild nicht frontal, sondern in einem schräg angeschnittenen Blickwinkel. Die vom Betrachter konstruierte Selbstwahrnehmung der Skulptur findet insofern nicht spiegelbildlich statt, vielmehr wird sie „durch ein Kameraauge vermittelt“. Diese spezifische Simultanität von Aufzeichnung und Wiedergabe des aufgenommenen Bildmaterials bildet die Ausgangsbasis für ein „besondere[s] Verhältnis der Gleichzeitigkeit von Realität und Abbild“ und ist charakteristisch für so genannte Closed Circuit Installationen. Das technisch in sich geschlossene Dispositiv scheint zunächst selbstreferentiell, berührt in seiner Vielschichtigkeit jedoch zahlreiche Themenfelder. Worüber sinniert der Denkende? Betrachten wir, als Außenstehende einen selbstverliebten Narziss, der sich nicht sattsehen kann am eigenen Anblick oder betrachtet die Figur das abgespielte Fernsehprogramm, in dem sie sich selbst aus ungewohnter Perspektive wiederfindet? Reflektiert die Skulptur aus einer früheren Epoche stammend über die Technologien und den durch sie verkörperten Zeitgeist des 20. Jahrhunderts? Oder hinterfragt sie anhand der ausgestellten Echtzeit‐Reproduktion das Verhältnis von medial vermittelter und vermeintlich echter Wirklichkeit? Vermögen die Gedanken des Denkers es, den Closed Circuit der Installation zu durchbrechen?

 

Nam June Paik, TV Rodin, 1976–1978, A. W. Mellon Acquisition Endowment Fund. Photo: Richard Stoner

Kontext

Mit der Plastik Der Denker schuf Auguste Rodin 1880‐1882 ein Hauptwerk, dessen Abgüsse sich heute in zahlreichen internationalen Museen befinden. Sich den klassischen akademischen Normen des 19. Jahrhunderts widersetzend, gilt Rodin als ein Vorreiter der modernen Bildhauerei, womit ihm eine ähnliche Rolle wie Nam June Paik hinsichtlich der Medienkunst zugeschrieben wird.

Als Pionier der Videokunst beanspruchte Nam June Paik für sein Schaffen einen ebenso ausgeprägten Anspruch an Perfektion und Kreativität wie bildende Künstler der Malerei und Bildhauerei. Paiks Ehrgreiz verlangte es “to shape the TV screen canvas as precisely as Leonardo, as freely as Picasso, as colorfully as Renoir, as profoundly as Mondrian, as violently as Pollock and as lyrically as Jasper Johns.” Anknüpfend an diesen Ausspruch ließe sich Der Denker – TV Rodin als eine Engführung interpretieren, in der ein Emblem einer etablierten Kunstform (der Bildhauerei) der noch jungen Videokunst zu Legitimation verhilft. Dabei thematisiert Paik in seiner Videoinstallation wiederum das kunstferne Massenmedium Fernsehen – womit er sich einen weiteren Schritt von der Hochkultur entfernt. In der Konfrontation von moderner Bildhauerei und populärem Massenmedium stehen sich zwei Erzeugnisse gegenüber, die sowohl in ihrer kulturgeschichtliche Epocheneinordnung als auch in ihrer heutigen gesellschaftlichen Anerkennung in heftigen Widerspruch zu einander stehen. Während die Arbeiten Rodins heute unumstritten zum Kanon der Hochkultur gehören, verkörpert das Fernsehen seit den 70er Jahren die Populärkultur samt konnotierter Werte und (Vor‐)Urteile. Der häufig diskutierte Gegensatz von ernster und unterhaltsamer Kultur wird in Der Denker – TV Rodin bereits im Titel vor Augen geführt hervorgekehrt – oder schlicht unterwandert.

Das für Closed‐Circiut‐Installationen prägende „Beobachter/Werk‐Verhältnis verschafft […] einen aktiveren Zugang zu den eingesetzten Medien und ihren inhärenten Rezeptionsmechanismen“ als viele theoretische Reflexionsformen es vermögen. Eine zusätzliche Deutungsebene entfaltet die Arbeit dadurch, dass der vermeintliche Beobachter innerhalb der Installation selbst künstlerisches Werk ist – der eigentliche, lebendige Betrachter, dadurch automatisch zum Beobachter zweiter Ordnung wird.

Zur Autorin:
Thea Dymke

Thea Dymke studierte Medienwissenschaft sowie Kulturmanagement und war bereits an mehreren Projekten an den Schnittstellen von Kunst, Kultur und (Online-)Medien beteiligt. Seit 2012 ist sie beim Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler für Marketing und Kommunikation verantwortlich und realisiert dort diverse Kommunikations- und Veranstaltungsformate. — LinkedInInstagram

www.bvdg.de



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