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Grandmaster Flash on the Wheels of Steel

 

Titel "The Adventures of Grandmaster Flash on the Wheels of Steel"
Autorschaft

Grandmaster Flash

Datum 1981
Land USA
Mediales Genre Funk, Disco, Rock, HipHop
Bereich Musik
Ausgangsmaterial

Zeitgenössische Popmusik

Quelle

grandmasterflash.com

In den 1970er Jahren waren Disco, Funk, Soul und Rock die einflussreichsten und beliebtesten Genres der US-amerikanischen Popmusik. Es ist wichtig zu wissen, dass die Stücke dieser Musikrichtungen grundsätzlich live von Musikern eingespielt wurden, bevor sie auf Schallplatte gepresst, im Radio gesendet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Durch die DJ-Culture, die zu dieser Zeit in der New Yorker Bronx entsteht und den Grundstein für den späteren HipHop legt, wird dieses Verhältnis von Live-Produktion, Aufführung und Publikation jedoch entscheidend aufgebrochen. HipHop sollte das historisch erste Musikgenre werden, das nahezu ausschließlich aus präexistenter Musik abgeleitet und re-produziert wird.



Ausgangspunkt dieser Entwicklung waren die „Block-Parties“ der afroamerikanischen Community, bei denen die DJs („Disc-Jockeys“) ihre Schallplatten von zuhause mitbrachten und sie zur Unterhaltung des Publikums kunstvoll miteinander mischten. Vorbild waren die jamaikanischen „Soundsystems“, also eigens zusammengebastelte und bisweilen waghalsige Konstruktionen aus heimischen Verstärkern, Boxen und Plattenspielern, die in privaten Kellern, Hinterhöfen oder in öffentlichen Parks aufgestellt wurden. Nicht selten wurde dafür auch die öffentliche Stromversorgung angezapft. Im Grunde griff man einfach auf das zurück, was sowieso schon vorhanden war, zweckentfremdete es und verwandelte es damit in etwas Neues und Eigenes.

Innerhalb dieser Kultur der DJs und Soundsystems taten sich einige junge Männer hervor, die sich durch ihren geschickten Umgang mit Schallplatten einen Namen als DJs machen konnten. So wird dem Jamaikaner Kool Herc, bürgerlich Clive Campbell, nachgesagt, das „Backspinning“ erfunden zu haben. Beim Backspinning werden zwei Exemplare einer Platte so abgespielt, dass eine bestimmte musikalische Passage nahtlos aneinandergereiht wird. Durch ein Mischpult, das zwischen den Plattenspielern aufgebaut ist, kann fließend zwischen den Passagen hin- und hergeblendet werden: Während auf dem einen Plattenspieler gerade jene Passage läuft, kann sie auf dem anderen unbemerkt wieder zurück gedreht werden („back spin“) und das Abspielen kann von Neuem beginnen.

Für die Technik des Backspinnings boten sich natürlich jene Passagen an, deren Beginn und Ende relativ leicht zu identifizieren waren und deren Wiederholung für die DJs einen besonderen Nutzen oder Effekt ergab. Dies traf insbesondere auf die sogenannten „Breakbeats“ oder schlicht „Breaks“ zu, jenen Rhythmuspassagen also, die nur aus Schlagzeug und Basslauf bestehen. Während des Abspielens der Breaks beobachteten die DJs nämlich Ekstase und Begeisterung auf der Tanzfläche. Bei David Toop, einem Chronisten der HipHop-Geschichte, wird mit Afrika Bambaataa ein Kollege und Konkurrent von Kool Herc zitiert, der die Methode des Backspinnings aufgriff und sie in seinem Sinne verfeinerte:

„I started playing all forms of music. Myself, i used to play the weirdest stuff at a party. […] I would play ‚Honky Tonk Woman’ by The Rolling Stones and just keep that beat going. I’d play something from metal rock records like Grand Funk Railroad. ‚Inside Looking Out’ is just the bass and drumming… […] and everybody starts freaking out. I used to like to catch the people who’d say: ‚I don’t like rock. I don’t like Latin.’ I’d throw on Mick Jagger – you’d see the Blacks and the Spanish just throwing down, dancing crazy. I’d say, ‚I thought you said you didn’t like rock.’ They’d say: ‚Get out of here.’ I’d say: „Well, you just danced to the Rolling Stones.’ ‚You’re kidding!’ I’d throw on ‚Seargent Pepper’s Lonely Hearts Club Band’ – just that drum part. One, two, three, BAM – and they’d be screaming and partying. I’d throw on The Monkees, ‚Mary Mary’ – just the beat part where they’d go ‚Mary Mary, where are you going?’ – and they’d start going crazy. I’d say: ‚You just danced to The Monkees.’ They’d say: ‚You liar. I didn’t dance to no Monkees’. I’d like to catch up people who categorise records.“

— Afrika Bambaataa nach Toop (1984): S. 65f.

Durch ihren Erfolg motiviert begannen die DJs jener Zeit, voraufgezeichnete Musikstücke nicht mehr als abgeschlossene und auszuspielende Werke zu betrachten, sondern sprichwörtlich neue Seiten an den Schallplatten zu entdecken. Die DJs hörten die Platten nach ihren interessantesten Stellen ab, „filetierten“ diese geradezu und nutzten die Klangausschnitte für den Aufbau eigener Stücke. Neben dem Backspinning etablierten sich an den Plattenspielern weitere transformative Techniken wie das Mixing, Scratching oder Cutting. Während Mixing das Zusammenmischen mehrerer Schallplatten meint, wird unter dem Scratching im Allgemeinen ein rhythmisches Vor- und Zurückdrehen einer Schallplatte bei aufliegender Nadel verstanden. Das durch dieses Kratzen entstehende charakteristische Geräusch kann unter Zuhilfenahme des Mischpults als rhythmisches Beiwerk zu einer laufenden Platte ein- und ausgeblendet werden. Wird hingegen über den Regler am Mischpult ruckartig eine andere Platte eingeblendet, spricht man von „Cutting“.

1981 schuf Joseph Saddler alias Grandmaster Flash mit seiner abenteuerlichen Musikmontage „The Adventures of Grandmaster Flash on the Wheels of Steele“ einen Meilenstein der musikalischen Remix-Kunst: ein Live-Mix, wie man ihn auf den Block-Parties genießen konnte, der aber schließlich auf Platte gepresst offiziell über ein Label verkauft wurde. Das Stück illustriert beispielhaft und virtuos die musikalischen Methoden der DJ-Culture dieser Zeit, besteht es doch ausschließlich aus Elementen anderer Musikstücke. Grandmaster Flash bedient sich dabei unter anderem an Queen („Another one bites the dust“), Le Chic („Good Times“), Blondie („Rapture“), Michael Viner’s Incredible Bongo Band („Apache“) sowie Passagen aus Salsa, Funk und Rap. Zwar ist die Auswahl jener Stücke prinzipiell wenig überraschend, da sie beliebte Hits für Tanzfläche und Radio waren. Indem jedoch die einzelnen Versatzstücke unter beeindruckender Verwendung von Backspinning, Mixing, Scratching und Cutting an drei (!) Plattenspielern hintereinander montiert, übereinander gelegt und ineinander gemischt werden, wurden sie in den neuen musikalischen Zusammenhang des Party-Mix’ gestellt, der Publikum wie Konkurrenz gleichermaßen überraschen sollte.

Referenzen

Pelleter, Malte/Lepa, Stefan (2007): ‚Sampling‘ als kulturelle Praxis des HipHop, in: Bock, Karin et al. (Hg.): HipHop meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens, Bielefeld: Transcript, S. 199-214.

Poschardt, Ulf (1997): DJ Culture. Diskjockeys und Popkultur, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Rose, Tricia (1989): Orality and Technology: Rap Music and Afro-American Cultural Resistance, in: Popular Music and Society, Jg. 13, Nr. 4, S. 33-44.

Shusterman, Richard (1992): Pragmatist Aesthetics: Living Beauty, Rethinking Art. Oxford: Oxford University Press.

Toop, David (1985): The Rap Attack. African jive to New York hip hop, London: Pluto.

Zum Autor:
Georg Fischer

Georg Fischer hat in Berlin Soziologie studiert und seine Diplomarbeit zum Thema "Kreativität und Innovation des Samplings" verfasst. Derzeit bearbeitet er seine Dissertation zum Thema "Urheberrecht und Kreativität in der Musikproduktion".

jaegerundsampler.wordpress.com
@jaeger_sampler



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