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Gerhard Richter – Bridge 14 FEB 45

 

Titel Bridge 14 FEB 45
Autorschaft

Gerhard Richter

Datum 2000
Land Deutschland
Technische Daten

Formate: 46 x 34,5 cm  / 65 x 52 cm / 100 x 70 cm

Mediales Genre Druckgrafik auf Basis einer retuschierten Fotografie
Bereich Kunst
Ausgangsmaterial

Luftbildaufnahme der US Airforce von 1945

Quelle

gerhard-richter.com

Was mochte den Maler Gerhard Richter bewogen haben, eine Luftbildfotografie aus dem Zweiten Weltkrieg, die er mit dem Titel Bridge 14 FEB 45 (2000) versah, zu überarbeiten und als Offsetdruck in Serie zu geben, um sie mit seiner Signatur als Kunstwerk zu adeln? Das Foto, so könnte man annehmen, unterscheidet sich nicht wesentlich von den unzähligen ähnlichen Bildern, die während des Zweiten Weltkriegs angefertigt wurden und heute in Archiven lagern.



Bevor die Fragen nach dem Sonderstatus und der Kunstwürdigkeit beantwortet werden, ist auf zwei Referenzen in Richters Œuvre hinzuweisen: Nicht nur hat Richter das Sammeln von Fotografien als künstlerische Praxis betrieben, indem er Tausende von Bildern (z.B. Privat- Presse-, Postkarten-, Pornografiefotos) in seinem gigantischen Montage-Projekt Atlas nach formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten anordnete; ebenso ist er für seine großformatigen, vorwiegend grau-weißen Fotoabmalungen bekannt, mit denen er Anfang der 1960er Jahre seinen Ruhm begründete. Während jedoch die Gemälde durch Verwischungen verfremdet wurden, beeindruckt die Grafik Bridge 14 FEB 45 durch Klarheit und Kontrastschärfe. Auf der Webseite des Künstlers wird diese Arbeit wie folgt beschrieben:

Offsetdruck in Schwarz und Grau […] mit farblosem, glänzendem Drucklack beschichtet, gerahmt, verglast. Nach einer am 14. Februar 1945 aus einem amerikanischen Militärflugzeug aufgenommenen Fotografie. Gezeigt ist der Süden Kölns mit Bombentrichtern, ausgebrannten Häusern und der zerstörten Rodenkirchener Rhein-Brücke. Die historische Fotografie wurde am Computer überarbeitet.

In der kunstwissenschaftlichen Literatur wird Richters objet trouvé durchgängig biografisch gedeutet: Einerseits zeige das Bild ein Grundstück, auf dem Richter Anfang der 1990er Jahre seinen Wohn- und Arbeitsmittelpunkt aufgebaut hat, andererseits verweise die Datumsangabe auf ein gravierendes Ereignis: In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 griffen Hunderte von amerikanischen und englischen Bombern Dresden an, um einen Feuersturm zu entfachen, der die Stadt in einen Glutofen verwandelte. Richter ist in der Stadt aufgewachsen; zwar erlebte er als 13-Jähriger den Angriff auf die Stadt nicht unmittelbar, doch hat er in den 1950er Jahren die Trümmer und Zerstörungen auf seinem Weg zur Kunstakademie täglich gesehen. Das Aufschichten von Erinnertem, Gehörtem, Gesehenem sowie die Überblendung der zwei Lebensorte Dresden und Köln und zweier Lebensepochen in einem Bildmoment verwandelt die Nutzfotografie in ein privates Bildmonument. Die biografischen Hintergründe, die ein Punktlicht auf die Psychodynamik des Bearbeitens von lebensgeschichtlich einschneidenden Erfahrungen werfen, weisen das kleine Bild als kryptisches Zeichen eines Subjekts aus, das die erlebten und erzählten Angriffe auf Heimat und Leben zurückruft – und aus einem Aufklärungsfoto ein Traumbild macht.

Kontext

Liegt damit aber eine hinreichende Begründung vor, in dem Foto ein Kunstwerk zu erkennen?
Es ist ein ungewöhnliches Faktum, dass die Interpreten nichts über die Ästhetik der Fotografie mitteilen. Auch wird der Information, dass das Bild am Computer bearbeitet wurde, wenig Aufmerksamkeit geschenkt, die Rede ist lediglich davon, dass Schäden am Bild beseitigt wurden, sodass ein Bild entstand, das, so Richter selbst, wie „ein brandneues makelloses Foto aussah.“ (Richter, 537)
Das bisher unpublizierte, unbearbeitete Originalfoto hing lange in Richters Atelier. Erst 1999 wandte er sich mit der Bitte an einen Lithografen, um mittels digitaler Retusche die photomechanischen Fehler der geheimnislosen Darstellung eliminieren zu lassen. Die Verwandlung von einem schmutzigen Kriegsfoto in ein reines Bildwerk nahm weit über hundert Stunden in Anspruch. Ursprünglich zusammengefügt aus sechs montierten Negativen wurden die Montageschnittkanten, die Anschlussungenauigkeiten und markanten Differenzen in den Helligkeiten, die vermutlich daher rührten, dass die Bilder zu unterschiedlichen Tageszeiten aufgenommen worden waren, vollständig beseitigt. Demgegenüber wurden die Wolken- und Rauchbildungen am unteren Rand dramatisiert. An anderen Stellen wiederum wurden Wölkchen und Dunstschleier beseitigt und vor allem die Wasserfläche des Rheins erheblich aufgehellt und von Flecken befreit. Auch wurde ein schwarzer Balken mit Kennziffern und Datum, das den Titel der Druckgrafik bildet, aus dem Bild entfernt.
Ein Zwischenfazit könnte lauten, dass die formal-ästhetische Vereinheitlichung den für Luftbilder oft betonten Anschein von Gegenstandslosigkeit in den Vordergrund bringt.
Die geometrisierte Blüte des Autobahnkreuzes, die zu Linien und Flächen abstrahierte Landschaft und die Fleckenmalerei der Rauchwolken könnten wie eine optische Kunst angesehen werden. Die Kunsthistorikerin Kaja Silverman stellt denn auch eine Analogie zwischen den Rauchschwaden der Explosionen und den gegenstandslosen Wisch- und Fleckengemälden Richters her. Dass es Richter aber gerade um einen Realismus ging, ist an dem Umstand abzulesen, dass sämtliche Architekturdetails wie Häuser, Brücken, Uferbefestigungen und auch die Bombentrichter nachgeschärft werden sollten, keinesfalls jedoch die Wälder, Parks und Agrarflächen.

Hervorgehoben wurden also die Zerstörungen: Vor allem die Bombenkrater treten als prägnant gezeichnete schwarze Pünktchen mit weißen Strahlenkränzen in Richters „makelloser“ Fassung ungleich eindrücklicher hervor und lenken den Blick nervös über die Bildoberfläche. Die Beseitigung der Störelemente des Originals und der schärfende Eingriff können daher als Versuch der Annäherung, der genauen Inblicknahme der Verheerung gewertet werden.

Wer Bridge 14 FEB 45 in einer Ausstellung betrachtet, erfährt in der Regel nichts von den künstlerischen Eingriffen und kann sich von der Simulation eines „brandneuen Fotos“ täuschen lassen. Ein beobachtungssensibler Betrachter mag jedoch eine visuell-ästhetische Aura registrieren, die über der Indexikalität des Motivs liegt. Die Brillanz ist wie ein Atemstocken in einem plötzlichen Vakuum. Es ist, als schauten wir in ein Terrarium der Vergangenheit, in dem alles stillgestellt ist, tot und bewahrt zugleich. Eine Versteinerung liegt vor uns, aus dem das Vergangene herüberleuchtet. Der Bildkristall ist eine symbolische Form, in die eine unüberbrückbare Distanz zum Gezeigten und der Ansatz einer Annäherung verdichtet sind.

Diese Gegensätzlichkeit ist es, die aus dem Ausgangsmaterial des Aufklärungsfotos ein Über-Bild macht – ein Bild über ein Bild: Die nachträglich hergestellte Bildreinheit und Bildeinheit erzeugen einen Sur-Realismus, der Bedingung für den Vorstoß zu einer Bedeutungshaftigkeit ist. Nicht das Sein über der Wirklichkeit im Sinne der fliegenden Kriegerfotografen ist der zentrale Bildgegenstand; im Gegenteil, deren (Un-)Wirklichkeit wird subtil mit dem Gefühl der Befremdlichkeit versehen. Sind die Montagespuren Ausdruck der kriegsstrategischen Zweckrationalität, erzeugen die Betonung der Kontraste, das Strahlen der Grautöne, der Drucklacküberzug und die auratisierende Verglasung den Präsenzeindruck von Glanz, der als hyperreal wahrgenommen werden kann. Weder will das Foto die Dimension des realen Schreckens ausmessen, noch in eine formale Gegenstandslosigkeit flüchten. Dadurch aber, dass Richter das Format Luftbild geschönt zur Ansicht bringt und mit dem Licht vorher nicht dagewesener Deutlichkeit versieht, entreißt er das Bild der kartografischen Verengung. Seine Grafik macht damit implizit auf eine unheimliche Ähnlichkeit aufmerksam:

Während die klassische Remix-Montage der künstlerischen Avantgarde die Nähte sichtbar macht, um eine ästhetische Autonomie zu behaupten, die sich realistischen Abbildungspraktiken widersetzt, fungiert demgegenüber die Montage in den Händen der Kriegsplaner als ein Mittel der Realitätsverfügung: Die Realität soll überschaubar und kriegstechnisch veränderbar gemacht werden.
Richter – erfahren in verfremdenden Bildstrategien – zeigt mit seinem feinsinnigen wie verformenden Eingriff in das Original, dass er nur formal der Montage entgegenarbeitet, nicht jedoch ihrem konstruktiven Gestus: Auch wenn die Spuren der Montage beseitigt werden, so doch allein zu dem Zweck, das Bild dem pragmatischen Gebrauch zu entfremden und ihm eine ästhetische Würde zu verleihen. Die bildinternen Elemente werden nicht im Sinne der Kombinatorik remixt, sondern durch Gestaltänderung neu abgemischt. Der damit vollzogene Sphärenwechsel vom Militär zur Kunst bringt die ursprüngliche Ordnung des Bildes in Unordnung bzw. zur Neuordnung.

Vergessen wir nicht: Das Luftbild ist für gewöhnlich die Bildform der Täter und Mächtigen; es geht von Hand zu Hand, man zeigt auf Details, es wird danach abgesucht, welches Faktum für den Fortgang des Kriegs relevant ist. Diese anästhetische Lektüre der Pragmatiker ist nicht die des Künstlers. Auch wenn Richters Luftbildaufnahme die Distanz zur Schreckenslandschaft wahrt, die Ästhetisierung kann dennoch kein Vorwurf sein, denn sie ist das Medium einer anderen Genauigkeit, einer schauenden Nachdenklichkeit und eines Erschreckens über das Geschehene.

Der vorliegende Text ist die gekürzte und umgearbeitete Version eines Kapitels aus einer Monografie zur Ikonografie des Bombenkraters, die Herbst 2014 / Frühjahr 2015 erscheinen wird. Diese Monografie wird auch die originale, unbearbeitete Luftbildaufnahme der US Airforce von 1945 enthalten.

Referenzen

Elger, Dietmar: Gerhard Richter, Maler. Köln: DuMont 2008.

Fotogeschichte. Himmlische Bilder. Luft Raum Fotografie, Jg. 12 (1992), H. 45/46.

Richter, Gerhard: Text 1961 bis 2007. Schriften, Interviews, Briefe. Köln: Walther König 2008.

Silverman, Kaja: Unfinished Business, Vortrag am 21. Oktober 2011, Tate Modern. Online-Video (2013).

Zum Autor:
Gunnar Schmidt

Gunnar Schmidt ist Medien- und Kulturwissenschaftler, Professor in der Fachrichtung Intermedia Design an der Hochschule Trier.

www.medienaesthetik.de



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