Titel | Insult to Injury. Francisco de Goya Desasters of War. Portfolio of eighty etchings reworked and improved |
Autorschaft | Jake & Dinos Chapman |
Datum | 2003 |
Land | England |
Technische Daten | Format einer Radierung: 28,3 x 38,1 cm |
Mediales Genre | Mit Gouache und Aquarellfarben übermalte Druckgrafik |
Bereich | Bildende Kunst |
Ausgangsmaterial | 80 Radierungen aus Francisco Goyas Serie Los Desastres de la Guerra, 1810–1820 |
Quelle |
Nachdem das englische Künstlerduo Jake und Dinos Chapman in den 1990er Jahren kleine spielzeugähnliche Figuren (Desasters of War, 1993) und eine lebensgroße Skulptur (Great Deeds Against the Dead, 1994) angefertigt hatten, die Nachbildungen von Szenen aus der Druckgrafikserie Los Desastres de la Guerra von Francisco de Goya darstellen, folgte 2003 eine weitere Beschäftigung mit Goyas Kunstwerk: Die Chapmans erwarben für £25,000 die 80 Blätter von Los Desastres de la Guerra, um unmittelbar künstlerisch in die Werke einzugreifen.
Francisco de Goya: Tristes presentimientos de lo que ha de acontecer (dt.: Trübe Vorahnungen davon, was geschehen muss).
Bild: Wikimedia Commons
Goyas expressive Darstellung der Kriegsgräuel während der Besatzung Spaniens (1808–1814) durch Napoleon Bonaparte wird in Insult to Injury, so der Titel der Arbeit der Chapmans, auf eklatante Weise gekontert: Die Antlitze der Gequälten oder Quäler übermalten die Künstler mit grell-farbigen, grimassierenden Masken, die jedweder Fröhlichkeit entbehren. Die fein in die Szenen eingearbeiteten Gesichter erinnern an desperate Comicfiguren, an schmerzvolle Zirkusclowns oder an schauderhafte Karnevalslarven. Die Verunstaltung folgt einer Ästhetik des Grotesken, wie sie Michal Bachtin beschrieben hat: Die herausquellenden Augen und vor allem der übernatürlich große Mund sowie die „Vermengung menschlicher und tierischer Züge“ (Bachtin 1990, 15f.) sind charakteristische Merkmale dieser grotesken Überzeichnungen. Wenn Wolfgang Kayser (1960, 137) in der Groteske die inhaltliche Funktion der Verunsicherung erkennt – von Ordnungen, Orientierungen und Identitäten –, so gilt diese Bestimmung auch für Insult to Injury: Der ästhetische Ausdruck wie auch die dazugehörigen Semantiken werden ambig. Entsprechend hat der nachbessernde (reworked, improved) Eingriff und der formale Rückgriff auf populäre und folkloristische Ästhetiken zu zwei gegenläufigen Interpretationen geführt. Was einige Kritiker als trashige Erniedrigung Goya’scher Kunst, als Ikonoklasmus, Vandalismus oder als hohlen Provokationismus kritisierten (Jones 2003; Bond 2003), beurteilten andere als alptraumartige Überhöhung der dargestellten Grausamkeiten und als Hommage an Goya (Dormant 2003).
Mit den folgenden Ausführungen wird nicht Partei in dieser Debatte bezogen, sondern die künstlerische Strategie der Überarbeitung als Maßnahme der Kategorienverunsicherung interpretiert. Diese Strategie erstreckt sich über drei Register: das ästhetisch-künstlerische, das mediale und das marktökonomische Register.
Chapmans Remix von Goyas No se puede saber por qué (dt.: Niemand weiß warum).
Bild: jakeanddinoschapman.com
Nimmt man den Titel der Arbeit als Wegweiser zum Verständnis, so gewinnt man damit zunächst die Gewissheit, dass die Künstler eine aktualisierte Interpretation von Goyas Grafiken beabsichtigt haben. Diese Deutungssicherheit erweist sich jedoch als semantische Falle, denn der Titel bietet eine widersprüchliche Lesweise an: Add insult to injury ist eine idiomatische Wendung mit der Bedeutung „das Ganze noch schlimmer machen“. Dass dieser Inhalt eine der Intentionen der Künstler zum Ausdruck bringt, hat Jake Chapmans in einem Kommentar bestätigt: „The idea of drawing on the work was a way of amplifying some of the more monstrous and abject elements of the work.“ (Chapman 2012)
Andererseits bedeutet der Titel in wortwörtlicher Übersetzung „Beleidigung der Verwundung“, was auch eine Schmähung der Kunst Goyas impliziert. Bemerkenswert an der Doppelbedeutung des Titels ist die Tatsache, dass er die gegensätzliche Sicht der Kritiker vorwegzunehmen scheint, die im Nachgang formuliert wurde.
Titel und Bilder operieren auf zweideutige Weise mit einem Unernst und einer Uneindeutigkeit, die im Widerstreit zu dem ursprünglich manifesten Sinngehalt der Goya’schen Blätter steht. Diese Strategie setzt sich fort im Untertitel Portfolio of eighty etchings reworked and improved. Die Aussage über die Verbesserung (improvement) und „Richtigstellung“ (rectification) (Chapman zit. n. Gibbons 2003a) imitiert den normästhetischen Diskurs des 18. Jahrhunderts und ist keineswegs als authentisches Statement über die Funktion moderner Kunst zu werten. Die intendierte Ironie offenbart sich deutlich in einer kommentierenden Selbstcharaktisierung der Künstler: „We always had the intention of rectifying it, to take that nice word from The Shining, when the butler’s trying to encourage Jack Nicholson to kill his family – to rectify the situation.“ (Zit. n. Jones 2003) Die sarkastische Aussage, mit der die Künstler sich auf eine Stufe mit dem fiktiven verrückten Mörder aus dem Kubrick-Film stellen, lässt sie als Gewalttäter erscheinen, die Gewalt an der Darstellung von Gewalt ausüben. Doch auch die Selbstbezichtigung ist so ambivalent wie Titel und Untertitel – unernst-frivol wie der Sache angemessen.
Neben diesem aphoristischen und bohèmienhaften Provokationismus hat Jake Chapman den Anschlag auf Goyas Druckgrafikserie in einem ernsthaften Essay begründet. Darin benennt er einige Brüche in den ästhetischen Konzepten seit dem 18. Jahrhundert (Lessing, Kant, de Sade, Nietzsche, Bataille, Klossowski, Freud, Adorno). Die Referenz auf die Geschichte hat offenbar den Zweck, das eigene Tun als Ausdruck der Fortführung der Idee des Dissenses mit Konzepten und Deutungskonventionen auszuweisen. Dabei ist das Angriffsziel jene Sichtweise, die in der Darstellung menschlicher Grausamkeiten einen Widerstand gegen die Inhumanität erkennen will. Chapman kritisiert, dass die Bildwerke lediglich sentimentale Gewissensreflexe auslösen, welche die Einsicht verhindern, dass der Mensch in der Moderne zu nichts als Fleischmaterial verkommen ist. Damit stellt sich Chapman in die Deutungstradition von Horkheimer/Adorno, die in Dialektik der Aufklärung die durchgreifende Rationalisierung der Welt als Ursprung einer Kippbewegung von der Beherrschung in Vernichtung beschreiben. Diese Position affiziert die Wahrnehmung von Kunst: Die Bilder Goyas, so Jake Chapman, folgen der Tendenz von Schockdarstellungen, „Mitleidsermüdung“ (compassion fatigue) zu bewirken – „violent images begin to supplant the warnings they are intended to serve.“ (Chapman 2003, o.S.) Die Bilder, so die These Chapmans, sublimieren den realen Horror, wodurch sie ihn erträglich machen und letztlich unterstützen.
Die groteske Übermalung der Antlitze stellt eine Strategie dar, mit der das Schema der ästhetischen Sentimentalisierung durchschlagen werden soll. Angriffsziel der ikonoklastischen Aggression ist das Pathos in den Goya-Bildern, das an der Herstellung der täuschenden Moralität teilhat. Jake Chapman weist dabei auf eine Spezifik der Darstellungskunst Goyas hin, die von der Kunstwissenschaft festgestellt wurde: Der Mund verfügt bei Goya über eine ungewöhnliche motivische Intensität und gestalterische Expressivität. Entsprechend nehmen die Chapmans diesem Ausdruckszentrum gegenüber eine destruktiv-kritische Position ein: Der Mund – bzw. das Gesicht – als kulturell kodifiziertes Ausdrucksorgan, respektive als Platzhalter vermeintlicher Ausdrucksnatürlichkeit mit Identifikationsappell, wird ausgelöscht. Paradoxerweise geschieht dies mit dem Mittel der Übertreibung: Die überdimensionierten Clownsmünder sind die monströsen Störzeichen in einer ästhetischen Ordnung, die sich ans Wohlmeinen hält und die Unmenschlichkeit wie ihre Überwindbarkeit mythisiert. Insult to Injury verdeckt die menschlichen Perversionen mit exzessiven Verkünstlichungen, um den klassischen Idealen der Naturdarstellung oder -verbesserung ein Gegengift zu verpassen. Der Mythos einer Verständlichkeit und Verbindlichkeit des Ausdrucks, in dem sich noch ein Rest (Mit-)Menschlichkeit anzeigen soll, wird negiert.
Was als Herzlosigkeit der Künstler erscheinen mag, ist intentional das Gegenteil: Die Kälte der Destabilisierung des Kenntlichen soll eine Beunruhigung wachhalten; die Groteske ist das Werkzeug aus Lächerlichkeit und Negativität, um die Identität von Abbildung und Anthropologie des Leids zu zerschlagen.
Ist damit aber das Zerschlagungswerk legitimiert? Das Skandalöse des reworkings liegt offenkundig nicht auf der Ebene des Ästhetischen; hätten die Künstler eine vergleichsweise wertlose Reproduktion der Originalblätter genutzt – zum Beispiel einen Offsetdruck –, so hätte dieser Eingriff kaum Erregung erzeugt. Der künstlerisch-ästhetische Aspekt wird vom medialen Aspekt flankiert, der das magische Zentrum in der Auseinandersetzung bildet. Der Umstand, dass die Vorlagen direkt von den Platten Goyas stammen, verweist auf die Kraft der Aura, deren Kennzeichen Walter Benjamin (1977, 15f.) zufolge Einmaligkeit, Unnahbarkeit, Echtheit und Blickerwiderung sind. Die Verächter wie die Befürworter von Insult to Injury stehen gleichermaßen im Bann der Aura und der Reliquienhaftigkeit von Goyas Kunst. Was am Glauben als kindisch empfunden wird, erhält in der Kunst die Dignität des Werts: Im Katholizismus ist die Sekundärreliquie ein Gegenstand, mit dem der Heilige Kontakt hatte und durch den seine Wirkkraft übermittelt wird. Es ist nicht nur die Auffassung einer spezifischen symbolischen Form der Repräsentativität, die von den Chapmans unter Angriff gestellt wird, es ist vor allem die quasi-religiöse Transmitterfunktion des Mediums, die gestört wird. In dem Aphorismus „Spur und Aura“ macht Walter Benjamin eine Differenz auf, die sich auf Insult to Injury übertragen lässt: Anstatt sich von der Aura bannen zu lassen, behandelt das Künstler-Duo die Grafiken wie Spuren: „Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.“ (Benjamin 2007, 343) Für die Chapmans sind die Grafiken Goyas lediglich mit Sinn versehene Resultate von Einkerbungen in Metallplatten. Die Aura wäre der unsichtbare aber spürbare Schutzraum um das Papier, der Geist Goyas gleichsam, der den Blick fesselt und hypnotisiert.
Aus dieser kunstideologischen Verfassung ergibt sich eine Reihe von Paradoxien und Unklarheiten. Im Hinblick auf die Magie des Originals wurde von Fachleuten auf eine generelle Problematik hingewiesen: Zum einen ist die Technik der Radierung ein Verfahren zur Erstellung von Reproduktionen. Es sollen noch circa 1000 Versionen von Goyas Los Desastres de la Guerra existieren, wobei nur eine davon mit einer handschriftlichen Signatur des Künstlers versehen ist. Der Kunstkritiker David Lee konnte daher mit Recht feststellen: „It is only a set of prints. There are plenty more. If they [Chapmans] want to draw on them, fine.“ (Zit n. Gibbons 2003b) Der Status, was als Original anzusehen ist, beruht auf nur schwer objektivierbaren Grundlagen: Ist es der zu Lebzeiten hergestellte Druck, der vom Künstler freigegebene oder der signierte Druck? Ist es die Anzahl der existierenden Reproduktionen oder ist es ihr Erhaltungszustand, was als das priorisierte Bewertungskriterium gilt? Im Fall von Insult to Injury steht zudem ein Sonderfall zur Diskussion: Die Version im Besitz der Chapmans wurde erst 1937 anlässlich des Spanischen Bürgerkriegs hergestellt, ist demnach nie vom Künstler autorisiert worden. Juliet Wilson-Bareau, renommierte Goya-Spezialistin, mochte diese Version daher nicht als Original anerkennen: „The idea that they [Chapmans] have desecrated a supreme masterpiece has to be taken with a pinch of salt. The edition they altered was itself a desecration of Goya’s original prints. They are a travesty.“ (Zit n. Gibbons 2003b)
Gegen diesen Fundamentalismus ist ein Einwand zu formulieren: Schon die Erstausgabe von Los Desastres de la Guerra wurde erst nach dem Tod Goyas im Jahr 1863 hergestellt und es folgten vier weitere Editionen (1892, 1903, 1906, 1937). Von Goya selbst stammt nur die signierte Fassung. Nicht nur bleibt also unklar, welche Fassung als Original Geltung beanspruchen kann, ebenso kann man mit der gleichen Logik, mit der Wilson-Bareau die Berührung der Druckplatten im Jahr 1937 als „Entweihung“ (desecration) bezeichnet, alle posthumen Drucklegungen als religiöse Maßnahme der Reliquienproduktion auffassen: Als Tertiärrelique bezeichnet man einen Gegenstand, der mit der Sekundärreliquie einmal in Berührung gekommen ist. Die Diskussion um Insult to Injury ist untergründig auch eine um den Heiligkeitsstatus – der Künstlergeste, der Druckplatte, der Blätter.
Man muss annehmen, dass die Künstler die Debatte um ihre Arbeit verfolgt haben. Denn seit 2003 hat das Duo drei oder vier weitere Versionen des Goya’schen Druckwerks gekauft, um diese zu bearbeiten. 2013 hat Jake Chapman eine Vision formuliert, die wahrscheinlich auch die ursprünglichen Befürworter erschrecken wird: „The threat is not just to work on one Goya but to erase all of them.“ (Chapman 2013) Nicht nur fällt der Widerspruch zwischen Verstärkung und Ausradierung auf, das Zitat ruft auch Klischees über den modernen Künstler auf: mal Terrorist, der auf die Zerstörung von Kultur aus ist, mal provozierender Bramarbasierer, mal Grenzüberschreiter, der Tabus zum Wohle künstlerischer Ausdrucksvielfalt bricht.
Was immer die Absicht der Künstler war, Insult to Injury – unabhängig von der künstlerischen Bewertung – initiierte einen Zaubertanz um das Original. Was als Frage nach dem Recht oder der Legitimität zur Aneignung und Umwertung von Los Desastres de la Guerra begann, verwandelt sich unversehens in die Frage danach, wo der echte Goya noch vorhanden ist, wo er sich bereits verflüchtigt hat. Der Umstand, dass künstlerischer und medialer Wert auf paradoxe Weise miteinander verbunden sind – beide sind nur in der Gemeinsamkeit denkbar und doch ist keine der beiden Register auf den anderen reduzierbar –, hat Folgen für die Bewertung auf dem Kunstmarkt. Die Drohung der Künstler, alle Goya-Grafiken auszuradieren, ruft nicht nur die Bedeutung des kulturellen Werts auf, sie hat zudem Folgen für die Kategorie des Besitzes und des Verfügungsrechts.
Als drittes Register im Gefüge der Wert-Unordnungen tritt der Marktwert in Erscheinung. Auch dieser Wert – scheinbar der sachlichen Logik von Angebot und Nachfrage gehorchend – ist nicht frei von magischen Vorstellungen. Auch wenn es eine allgemeine Tatsache ist, dass Marktwert und anerkannter Kunstwert nicht immer miteinander korrelieren, benötigt der Handel sowohl die Expertise über Original, Fälschung oder Reproduktion als auch die Bewertungen der Kunstkritik und -wissenschaft über den künstlerischen Stellenwert eines Werkes. Der kapitalistische Kunstmarkt nimmt auf dieser Basis eine Umdeutung der Wertkategorien vor, indem er den durch das System Kunst erzeugten künstlerischen in monetären Wert übersetzt. Karl Marxens berühmtes Diktum, wonach die Ware ein „vertracktes Ding voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken ist“ (Marx 1903, 37), gilt insbesondere für die Kunstware. In ihr sind gesellschaftliche Verhältnisse, Ideen, Phantasmen und profane Zauberei verdinglicht und unsichtbar gemacht. Wenn auch diese Verhältnisse nicht in toto durchleuchtet werden können, so offenbart die Aneignung der Goya-Drucke im Falle von Insult to Injury doch einen wichtigen Aspekt: Legal war die künstlerische Appropriation aufgrund des einfachen Tatbestands, dass sich die Künstler durch den Erwerb der Grafikserie die Freiheit erkauft haben, die Blätter durch Zerstörung zu „beleidigen“. Als illegitim wird die Handlung dennoch wahrgenommen, weil Kunst offenbar einen Wert besitzt, der Allgemeingültigkeit beansprucht und damit unausgesprochen auch den Charakter des Allgemeinguts impliziert. Der Besitzer wäre in dieser Hinsicht nur der Bewahrer und Beschützer, nicht jedoch Souverän über das Schicksal des Werkes. Positives Recht, welches das Marktgeschehen sichert, und kulturelle Ansprüchlichkeit stehen einander unvermittelt gegenüber.
Doch auch aus der Sicht des Marktes ergibt sich eine verzwickte Situation: Da Insult to Injury das Kunstwerk Goyas zerstört, wird dem Markt ein monetärer und Fetischwert entzogen. Im selben Zuge jedoch vollzieht sich eine folgenschwere Metamorphose, denn die Reproduktionskunst Goyas bekommt durch den Eingriff den Status des Originals. Nach Jake Chapmans Aussage ist die Arbeit circa fünf Mal soviel wert wie die unbearbeitete Serie Goyas (Chapman 2013). Aus marktökonomischer Sicht ist das ein Gewinn – was auch die strukturelle Amoralität des Marktgeschehens und die Komplizenschaft mit den gewissenlosen Künstlern impliziert. Einhergehend damit geraten die künstlerischen Wertmaßstäbe aus dem Blickfeld, die der Markt gleichzeitig so dringend zur Legitimation benötigt. Untergründig bleibt gleichzeitig die Relation zwischen Markt- und künstlerischem Wert bestehen, was Goya in doppelter Hinsicht zum Verlierer in diesem Spiel werden lässt. Dieser rationale wie mysteriöse Vorgang lässt die mediale Wertigkeit nicht unberührt: Die Blätter der Chapmans bekommen jene Aura zugesprochen, die sie selbst Goya entrissen haben und von der doch auch ihre Arbeit zehrt. Der Markt, Nutznießer der Künstlermagie, ist der Umschlagplatz für „religiösen Wiederschein“ (Marx 1903, 46).
Die Kontextanalyse zeigt, dass das Remixverfahren der Chapmans weit über die formal-inhaltliche Dimension hinausgeht. Die Wertbestimmung erstreckt sich über drei miteinander verkoppelte Register, innerhalb derer und zwischen denen Konfusion gestiftet wird. So sehr sich die Arbeit von Jake und Dinos Chapman ästhetisch genießen lässt, man ihre Ausdruckskraft schätzen kann oder gering empfindet, so sehr kann man in ihr eine Metakunst erkennen, deren Bestimmung darin besteht, das Schicksal der autonomen Kunst in der kapitalistischen Kultur zu veranschaulichen. Die Grimassen auf den Bildern übernehmen hierin die Funktion uneindeutiger Allegorien zwischen Scherz und Schmerz: Sie verhöhnen den Reliquienkult und zeigen die Pein darüber, dass man den Systemimperativen nicht entkommt. Die Grotesken sind schlussendlich die entstellten Figurationen der Künstler selbst, die zwei historisch gewachsene mythische Rollenkonzepte zugleich ausfüllen – Erfinder originärer Ideen und Monteure des Uneigenen.
Chapmans Remix von Goyas Fuerte cosa es! (dt.: Das ist zuviel!).
Bild: jakeanddinoschapman.com
Adorno, Theodor W. u. Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt a. M.: Fischer 1977.
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Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977.
Benjamin, Walter: Aura und Reflexion. Schriften zur Ästhetik und Kunsttheorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2007.
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Chapman, Jake: „Jake Chapman talks about of drawing over Goya prints“, in: Vimeo, 2012.
Chapman, Jake: „Meet the Artist“, in: Hirshhorn, 11.12.2013.
Dorment, Richard: „Inspired vandalism“, in: The Telegraph, 30.04.2003.
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Gibbons, Fiachra (b): „Goya ‚will survive these twerps‘ says top art critic“, in: The Guardian, 01.04.2003.
Hightower, Nancy: „Necessary Violence: The Rectification of Goya by the Chapman Brothers“, in: Weird Fiction Review,12.03.2012.
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Kayser, Wolfgang: Das Groteske in Malerei und Dichtung, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1960.
Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, 1. Bd., 5. Aufl., Hamburg: Otto Meissner 1903.
Wikipedia (engl.), s.v. „The Disasters of War“.